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"PDS will Verfassung ändern, NPD für Streichung"


INTERVIEW © Leipziger Volkszeitung vom Donnerstag, 28. April 2005

Dresden. Der Bautzener Landtagsabgeordnete Marko Schiemann führt die CDU-interne Arbeitsgruppe Extremismus. Er warnt davor, in der Debatte NPD und PDS gleichzusetzen. Die große Gefahr gehe vom Rechtsextremismus aus. Darüber hinaus will er das Thema Solidarität beleben. Soziale Marktwirtschaft dürfe nicht zu einem verantwortungslosen Kapitalismus führen.

Frage: Sie sind Chef der Arbeitsgruppe Extremismus. Was ist politisch extrem, NPD, PDS oder beide?

Marko Schiemann: Die beiden Parteien sind nicht einfach über einen Kamm zu scheren. Sicher gibt es auch in der PDS extremistische Strömungen, die wir nicht vergessen dürfen. Dabei aber handelt es sich um einzelne Gruppen, nicht um die gesamte Partei. Das ist der Unterschied zur NPD: Die PDS will die Verfassung ändern, die NPD will sie abschaffen.

Wer ist gefährlicher?

Die große Gefahr geht derzeit vom Rechtsradikalismus aus. Das ist auch für die Union in Sachsen eine neue Erfahrung. Im Grunde haben wir das Problem erst im Januar ganz deutlich registriert, beim Eklat um den "Bomben-Holocaust". Allein der Begriff ist schon eine Ungeheuerlichkeit. In Sachsen ist das bisher nicht vorgekommen, dass es Opfer erster und zweiter Klasse gibt. Das ist eine Schande für unser Land. Dagegen müssen wir einen Grundkonsens setzen, nicht allein Gesetze. Es geht um politischen Anstand, um eine Grenze, die man nicht übertreten darf.

Dennoch gibt es derzeit Versuche in der CDU, mit Patriotismus am rechten Rand zu fischen. Ist das eine Perspektive?

Die Sachsen waren immer patriotisch, das war auch ein entscheidender Impuls 1989. In letzter Zeit haben wir dies vernachlässigt, aber der Problemlöser ist es nicht. Wir müssen uns stärker um die Sorgen und Nöte der Sachsen kümmern, und wir brauchen einen gesunden Verfassungspatriotismus. Wenn das so ist, habe ich auch kein Problem damit, mich unter die sächsische Fahne zu stellen.

Wo liegen die Ursachen für Extremismus?

Der Veränderungsdruck für die Menschen in den neuen Ländern nach der Wende ist enorm. Das haben wir unterschätzt. Gemessen an dieser Belastung gibt es zu wenig Möglichkeiten für die Leute, über ihre Probleme zu sprechen, unter anderem über Arbeitslosigkeit, Schule und Abwanderung. Darüber hinaus haben wir das Thema Solidarität in den letzten fünf Jahren verloren. Das Modell der sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhardt darf nicht zu einem verantwortungslosen Kapitalismus führen. Und wir dürfen die Jugendarbeit nicht den extremen Gruppierungen überlassen.

Genau hier aber wird in vielen Orten gekürzt ...

Das ist in der Tat ein Problem. Landräte und Bürgermeister müssen sich fragen lassen, ob sie da immer die richtigen Schwerpunkte setzen.

Wie steht die NPD derzeit da im Lande?

Sie ist entzaubert. Ging es ihr im Wahlkampf angeblich noch um Sozialthemen wie HartzIV, so hat sie mit dem Wort vom "Bomben-Holocaust" ihr wahres Gesicht gezeigt. Es existiert eine starke Beziehung der NPD zur Nazidiktatur unter Hitler, das kann die Partei nicht verdecken.

Was ist besser im Kampf gegen die NPD, schweigende Verachtung oder die offensive Debatte?

Wir brauchen die klare politische Auseinandersetzung. Es ist nötig, sich mit der NPD tief greifender zu beschäftigen, als das manchem lieb ist. Das Beispiel PDS in den letzten 15 Jahren hat gezeigt: Ignorieren allein bringt nichts.

Interview: Jürgen Kochinke




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